Also ich kann ja mal aus eigener Erfahrung erzählen — ich bin seit Jahren mehrmals im Jahr in Sellin und irgendwie finde ich diese „Rügen = reines Touristenchaos“-Sicht immer’n bisschen übertrieben. Klar, wenn du in Binz oder am Südstrand von Sellin mitten im Juli unterwegs bist, dann stolperst du gefühlt über jede zweite Strandmuschel und kriegst beim Edeka am Bahnhof kaum noch ne Brötchentüte... aber das gehört doch zum Sommerurlaub irgendwo dazu, oder? Ich meine, als Kind hab ich in den 90ern schon erlebt, wie sich die Leute um die besten Plätze auf der Seebrücke gestritten haben.
Was ich aber an Rügen tatsächlich liebe: Du musst ja gar nicht dauernd im Trubel stecken. Geh mal morgens um acht in die Granitz – da hörst du nur Meisen, die durchs Geäst hopsen, und ab und zu’n Jogger, der mehr mit Schnaufen als mit Reden beschäftigt ist. Oder fahr mit dem Rad an die Boddenküste zwischen Groß Zicker und Thiessow: Da ist am Abend manchmal keine Menschenseele, nur Möwen und Wind. Abgesehen davon hat Sellin auch im Herbst seine Reize… Da sind dann nur noch ein paar Stammgäste und die Einheimischen unterwegs, und die nehmen sich auch mal Zeit für’n Schnack über den Gartenzaun.
Ist jetzt vielleicht ne blöde Frage, aber warum glauben so viele immer, dass Tourismus nur alles schlechter macht? Ich kenn ein paar Leute aus Baabe, die ihre Ferienwohnungen seit der Wende vermieten – und für die ist das nicht nur reiner Geldregen, sondern auch irgendwie ein Stück Kontakt zur „Welt draußen“. Letztens hat mir Uwe von nebenan erzählt, dass er ohne die Urlauber gar nicht mehr wüsste, wie man sich über Kleinigkeiten wie Quallen im Wasser oder die richtige Heringszubereitung so herrlich aufregen kann… 😄
Klar, der Spagat zwischen Natur- und Kulturschutz und Tourismus ist nicht immer einfach, das weiß auf Rügen eigentlich jeder. Aber so ein paar Wochen mit Leben auf der Insel – das hat manchmal sogar für die Insulaner was Gutes. Und wer Ruhe will, findet sie garantiert, aber eben nicht direkt vor der Eisdiele in Binz im Hochsommer.