Hab beim Laufen querfeldein über die Granitz letztens so’n bisschen drüber gegrübelt, was wirklich typisch Rügen ist—also von den Pflanzen her. Endemische Arten, das klingt erstmal total exklusiv, ist aber echt schwer greifbar. Man liest zwar immer von Besonderheiten wie Kreideliebe, Küstenwiese und Co, aber wenn’s ums echte „nur-hier“-Vorkommen geht... bin mir da selbst nicht sicher, ob man da auf Rügen überhaupt fündig wird. Ich glaub, der Knackpunkt liegt eher im Zusammenspiel dieser Lebensräume als in EINER sagenhaft einzigartigen Pflanze.
Zum Beispiel der Trockenrasen am Hochufer zwischen Sellin und Göhren: Da wächst u.a. das Grasnelken-Knabenkraut (Anacamptis morio), das bekommt man in Deutschland noch hier und da, aber halt kombiniert mit Salzwiesenzeug, Sanddorn, und im Hintergrund diesen windschiefen Eichen – das Gesamtbild macht’s, finde ich. Oder diese extrem kleinen, knorrigen Bäumchen an der Stubbenkammer, die mit jedem Sturm immer windschiefer rausgucken. Die Baumheide (Calluna vulgaris), die viele für „nur Heidekraut“ halten, wächst hier zusammen mit Pflanzen, die mehr Kalk lieben – dieser Mix ist nicht weltweit exklusiv, aber schon speziell.
Was den unscheinbaren Part angeht – da bin ich bei den Moosen und Flechten echt bei euch. Bin selbst schon öfter fast draufgetreten, wenn ich beim Joggen Kopfkino gespielt hab und nicht aufgepasst hab... Deshalb gehe ich gerade an der Steilküste fast nie ohne einen klitzekleinen Bestimmungsführer im Rucksack. Letztens tatsächlich zum ersten Mal das Kreide-Lebermoos (Marchantia paleacea) gesehen, lag einfach als grünliches Pölsterchen direkt neben einer Buchenwurzel; hab das ehrlich gesagt völlig übersehen vorher. Und bei sonnigem Wetter leuchtet das richtig hellgrün, fällt einem erst mal nicht groß auf.
Sensibel ist sowieso alles, was irgendwie auf Kalk oder nassem, kurz überflutetem Grund wächst. Das weiß ich auch aus den Ausdauertrainings so an der Hertha-Quelle (bin da oft unterwegs), da ist ständig so ein Wechselspiel aus salzhaltiger Luft und Süßwasser vom Regen, das über die Kreide sickert. Die Pflanzen, die das abkönnen, sind schon kleine Spezialisten, auch wenn sie im Lehrbuch meist nur mit zwei Zeilen vorkommen.
Touristen treten aber halt auch schnell mal alles platt. Und ich muss zugeben, beim Laufen auf schmaleren Pfaden hab ich oft so ein schlechtes Gewissen, wenn’s frisch geregnet hat und ich seh die ganzen, kaum sichtbaren Knubbels direkt an der Böschung. Der eigentliche Schatz ist echt, dass die Biotope teils noch so dicht beieinanderliegen und sich voll durchmischen – macht das Laufen für mich jedenfalls spannender als jede exotische Riesenorchi. Ob jetzt aber wirklich noch ultrarare Superpflanzen zu entdecken wären, da wär ich ehrlich: Da sind die „versteckten“ Überlebenskünstler wahrscheinlich das Wertvollste, was wir haben. Soyeah… vielleicht einfach nächstes Mal den Fotoapparat tiefer halten und auf die winzigen Sachen achten.